Hans-Christoph Hobohm: Grundbedingungen für Innovation und Veränderung (In: Erfolgreiches Management von Bibliotheken und
Informationseinrichtungen, hrsg. von Prof. Dr. Konrad Umlauf • Prof. Cornelia Vonhof, Hamburg: Dashöfer 2011, Abschn. 3.6.2.4)
Die praktische Erfahrung lehrt uns, dass die „meisten“
Initiativen zu Veränderungsprozessen scheitern. Es reicht offenbar nicht aus
(u.a.): ein durchdachtes Planungs-Konzept mit wirkungsorientierter Steuerung
zu haben, einzelne spezifische Managementinstrumente (im Beispiel des Neuen
Steuerungsmodells: Controlling, Kosten- Leistungsrechnung,
Qualitätsmanagement) einzuführen und den operativen Umgang mit den neuen
Instrumenten zu vermitteln. Es besteht ein gewisser Konsens darüber, dass
zur Innovationsfähigkeit neben einer soliden Basis an Kenntnissen und
Fertigkeiten eine kreative Intelligenz und vor allem Engagement und
(intrinsische) Motivation gehören. Das Thema ‚Motivation’ ist ein in allen
Bereichen des Managements immer wiederkehrendes Problem. Es gehört zur
Personalführung genauso wie zum strategischen Management. Leitmodelle hierzu
sind die Maslow’sche Bedürfnispyramide, Herzbergs Unterscheidung von
Motivatoren und Hygienefaktoren (vgl. Kap. 3.1.3) oder das Führungsgitter
(‚leadership grid’) von Blake und Mouton (vgl. Kap. 3.1.7).
Abraham Maslow wies schon früh darauf hin, dass Motivation
verschiedene Grundlagen und Antriebe haben kann, die aufeinander aufbauen.
Sind gewisse primäre Grundlagen wie das Bedürfnis nach Broterwerb und
Sicherheit nicht erfüllt, so kann man mit großer Wahrscheinlichkeit davon
ausgehen, dass es zu geringerer Mitarbeitermotivation kommt. Frederick
Herzberg fügte dem hinzu, dass es Faktoren gibt, die zwar selber nicht
wirklich motivieren, deren Fehlen aber dem Engagement und der Motivation
abträglich sind. Er nannte diese Hygienefaktoren, zu denen z.B. die
mangelnde Vermittlung der Unternehmenspolitik gehören, die praktischen
Arbeitsbedingungen oder Gehalts- und Statusfragen aber auch Probleme im
Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen mit Kollegen und in der
Hierarchie. Stimmen diese Basisfaktoren – diese meist ‚materialistischen’
Banalitäten – nicht, dann wird man Schwierigkeiten haben, innere Motivation
und Engagement (zumindest auf Dauer) aufzubringen. Dies wird man aus der
eigenen Position sicher in vielen Fällen nachvollziehen können. Johan
Olaison u.a. konnte in einer Studie an der Norwegian School of Management in
Oslo empirisch belegen, dass die hehren Vorstellungen über selbstlose
Bibliothekare im Dienste von Fortschritt und Innovation ohne eine monetäre
Basis auch zum Scheitern verurteilt sind.
Der Mensch ist eben nicht nur ‚sachorientiert’ am Fortkommen der
eigenen Institution interessiert, sondern auch (zunächst) an der eigenen
(physischen) Existenz (Maslow) und am eigenen sozialen Umfeld (Herzberg).
Sicher gibt es selbst im Bereich der Hygienefaktoren
Kompensationsmöglichkeiten, aber man wird die Hygienefaktoren insgesamt in
der aktuellen Diskussion um die Notwendigkeit von Reformen in Deutschland
eben nicht grundsätzlich vernachlässigen können. Robert Blake und Jane
Mouton machten daraus ein Führungsinstrument, das ‚leadership grid’, an dem
die Führungspersönlichkeit zunächst ihren eigenen Stil zwischen Aufgaben-
und Personenorientierung in einem 9x9-Felder Raster verorten kann, um dann
anzustreben – so die Botschaft – möglichst hohe ausgewogene Werte in beiden
Dimension in der eigenen Organisation zu erreichen (vgl. auch Frankenberger
2004).
Der Wunsch nach Innovation und Veränderung ist aber – wie wir
oben gesehen haben – meist ein sehr grundsätzlicher, der wie im
strategischen Management begleitet ist (bzw. sein sollte) von einer Vision
(s. Bibliothek 2040), die verhindert, dass es sich nur um kurzfristige
operationale Änderungen handelt.
Grundbedingungen für die Gestaltung von Veränderungsprozessen
sind also
- –
Zielorientierung (wohin soll die Reise gehen?)
- –
Orientierung auf Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit (die
Reise soll lange dauern!)
- –
ganzheitliche Betrachtung der Organisation (der ganze
Zug, der ganze Bus…)
- –
adäquate Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten
und Motivationen aller beteiligter Personen (… manche müssen öfter
mal Pause machen – alle sollten im Boot bleiben können)
- –
„Kreativität“, „inspirierende“ Kommunikation und
Selbst-Reflektion (Salonwagen und Tankstellen).
Change Management bedeutet: Veränderungsprozesse aus
Unternehmensperspektive und auf Ebene der beteiligten Personen
- –
zu planen,
- –
zu initiieren,
- –
zu realisieren,
- –
zu reflektieren und
- –
zu stabilisieren
Change Management ist
- –
ein Prozess der kontinuierlichen Planung und
Realisierung von tief greifender Veränderung.
- –
Dabei ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise der
Organisation notwendig.
- –
Im Zentrum aller Aktivitäten steht der Mensch (sowohl
als Führungskraft oder Mitarbeiter).
- –
Dieser generiert, selektiert oder transferiert
aufgrund seiner Fähigkeiten Wissen, mit dem Veränderungen
begründet aber auch abgelehnt werden können.
- –
Die Ziele der Veränderung von Unternehmen und
Einzelpersonen sind nicht unbedingt kongruent!
(vgl. Kostka/Mönch 2002)
Vor allem der Aspekt der Dauerhaftigkeit im
Veränderungsmanagement hat dazu geführt, dass dieses sich mehr und mehr zu
einer Theorie der Lernenden Organisation wandelte. Tan und Higgins fassen
dabei im Überblick aus einer großen Reihe von Studien die am häufigsten
genannten Grundbedingungen für lernbereite, wandlungsfähige Institutionen
zusammen. Sie bestätigen damit eine Reihe der im Projekt Bibliothek 2007
vermuteten Innovationselemente:
Charakteristika der Lernenden Organisation – in der Reihenfolge ihrer
Bedeutung: (Tan/Higgins 2002)
eine gemeinsam getragene Vision
partizipativer Führungsstil
Weiterbildungsmöglichkeiten
positive Einstellung zum Lernen
Teamarbeit
kommunikative und Dialog-orientierte Atmosphäre
Vertrauen und Gemeinsamkeit
experimentierfreudiges und fehlertolerantes Klima
Mitarbeiter- ‚employee empowerment’
Wissensmanagement Infrastruktur
Führungsstärke (‚leadership’)
Spaß und befriedigende Arbeit
Kundenorientierung
Anpassungsfähigkeit
unbürokratische Strukturen
Die einzelnen Elemente werden von den meisten sicher
nachvollzogen werden können. Das wichtige daran ist jedoch das Ranking ihrer
jeweiligen Bedeutung und der Hinweis darauf, dass die genannten Kriterien
jeweils nicht alleine stehen können, sondern in Wechselbeziehungen stehen zu
mehreren anderen Kriterien – wenn nicht zu allen. So wird sicherlich
‚Risikofreude’ und ‚Fehlertoleranz’ gepaart mit ‚Spaß an der Arbeit’ eine
angenehme Arbeitsatmosphäre schaffen; sie wird aber unter dem Gesichtspunkt
des erwähnten Führungsgitters zu einseitig auf der Personenorientierung
laden.
Diese komplexe Sicht auf Veränderungsprozesse in Unternehmen
findet bei Peter Senge („The 5th discipline“ (1990) + „The Dance of Change“
(1999)) ihre derzeitige, relativ breit akzeptierte Zusammenfassung. Er
versteht organisatorisches Lernen und Wandel als einen integrativen Prozess
im Sinne der oben mit Niklas Luhmann eingeführten systemanalytischen Sicht.
Seine ‚fünf Disziplinen’ beim ‚Tanz des Wandels’ sind:
- –
Selbstmotivierung (personal mastery)
- –
Hinterfragen mentaler Modelle (mental models)
- –
Antizipation einer gemeinsamen Vision (shared vision)
- –
Lernen im Team (team learning: Dialog &
Diskussion)
- –
Systemdenken (systems thinking: vernetztes Denken)
Die fünfte und damit als wichtigste verstandene Aufgabe des
Managements auf allen Ebenen ist das ‚systemische Denken’, die ganzheitliche
Sicht. Dies scheint auch insgesamt das schwierigste zu sein, wenn man es
z.B. als über den eigenen Schatten springen versteht – oder um politisch zu
werden als Denken über die eigene Legislaturperiode hinaus. Während die
mittleren ‚Disziplinen’ teilweise schon angesprochen wurden (so erinnert
‚Hinterfragen mentaler Modelle’ an die oben eingeführte ‚Irritabilität’
Luhmanns), ist ‚Selbstführung/Selbstmotivation’ als die Basis lernenden
Handelns, die bei jedem selbst beginnt, ebenfalls schwierig zu erfüllen. Mit
Senge und anderen kann man insofern folgende persönliche
Charakteristikadefinieren, die Innovation und Veränderung fördern:
- –
proaktiv handeln
- –
das Ziel vor Augen haben
- –
Zeitmanagement nutzen
- –
Win-Win-Denken
- –
wertschätzend kommunizieren
- –
Probleme gemeinsam kreativ lösen
- –
Selbstführung kontinuierlich verbessern
Die Herausforderung an das Management ist jedoch, diese beinahe
grundlegenden ethischen Forderungen allen Personen in der Organisation zu
vermitteln und sie dazu zu bewegen, diese auch anzuwenden. Dies mag im
Einzelfall utopisch und idealistisch erscheinen, der Ratschlag von Senge ist
allerdings meist, es komme darauf an, den Anfang zu machen. Aber auch das
ist sicher nicht einfach, allein wenn man die Kriterien ‚wertschätzend
kommunizieren’ und ‚Win-Win-Denken’ betrachtet: wem fällt es schon leicht,
jeden Mitmenschen positiv zu beurteilen und sich vorzustellen, welches
wirkliche Beweggründe des Handelns des jeweiligen Gegenüber sind, so dass
eine Kooperation zum gegenseitigen Vorteil gereichen könnte? Hier liegt
sicher auch der Grund dafür, warum so viele Reformprojekte scheitern: weil
die Menschen so sind wie sie sind.