Ulrich Naumann, Konrad Umlauf: Personalbedarf: Beispiel für wissenschaftliche Bibliotheken (In: Erfolgreiches Management von Bibliotheken und
Informationseinrichtungen, hrsg. von Prof. Dr. Konrad Umlauf • Prof. Cornelia Vonhof, Hamburg: Dashöfer 2012, Abschn. 4.3.6)
Die Anwendung des Berechnungsansatzes aus Abschnitt 4.3.5 soll hier an einem Beispiel
gezeigt werden. Es beruht auf einer Personalbedarfsrechnung für das
Bibliothekssystem der Freien Universität Berlin (FUB). Ausgangspunkt waren
Überlegungen, den dortigen Personaleinsatz aus Kostengründen weiter zu
reduzieren. Daher wurden in einer Arbeitsgruppe, in der Bibliotheksbeschäftigte
aus der Universitätsbibliothek und den größeren Fachbibliotheken der FUB
vertreten waren, einzelne Tätigkeiten mit ihren Zeitrichtwerten und dem
jeweiligen Anteil an Diplom-Personal und sonstigem Personal hinreichend genau
geschätzt und zu einem Gesamtpersonalbedarf der Bibliotheken der FUB
akkumuliert.
Planungsvoraussetzungen
Aufbauend auf einer 1999 vorgelegten Bedarfsberechnung wurden für eine
Neuberechnung die Planungsvoraussetzungen der gegenwärtigen Situation angepasst
und eine Bedarfsprognose für das Jahr 2015 durchgeführt. Dann soll in allen
Bibliotheken der Universität flächendeckend ein Integriertes
Bibliotheksinformationssystem eingesetzt werden. Die Bereichsbildung durch das
Zusammenlegen von kleineren bibliothekarischen Einheiten wird abgeschlossen
sein. Die bibliothekarische Zugangsbearbeitung
konzentriert sich dann in den wenigen Bibliotheksverwaltungszentralen. Diese
Festlegungen waren unter anderem erforderlich, um in der Berechnung überall
relativ gleiche Arbeitsbedingungen annehmen zu können. Das Ergebnis der
Berechnung ist demnach eine Zielvorgabe für das Jahr 2015, die dem laufenden
Personal- und Stellenmanagement zugrunde gelegt werden muss.
Zugangs-Tätigkeiten und mengenmäßig erfassbare
Benutzung
Aufgrund des flächendeckenden und ausschließlichen Einsatzes des Integrierten
Bibliotheksinformationssystems in der Zugangsbearbeitung wird wegen des Effekts
der vertikalen Integration von Arbeitsvorgängen (vor allem Übernahme von bisher
an sonstige Beschäftigte ausgegliederten Schreibarbeiten durch das Personal mit
Bachelorabschluss bzw. Diplompersonal) der Anteil des Diplompersonals relativ
hoch angesetzt. Die aus den einzelnen Tätigkeiten abgeleitete Tabelle 1 mit
geschätzten Zeitrichtwerten und den Anteilen des Diplompersonals (die übrigen
Prozentanteile beziehen auf den Einsatz des höheren Dienstes und zwei
Qualifikationsstufen des mittleren Dienstes) hat folgenden Inhalt:
Tabelle 1: Zeitrichtwerte und Anteil des Diplom-Personals für
wissenschaftliche Bibliotheken
Tätigkeit
(Kurzbezeichnung)
|
Inhalt der Tätigkeit |
Zeitfaktor (min) |
Anteil gehobener Dienst (%) |
fz |
Formal zu erschließende Print-Medienzugänge ohne RVK-Arbeiten
in Sprachen in lateinischer Schrift: Zahl der Bände |
23 |
25 |
sz |
Sachlich zu erschließende Print-Medienzugänge (RVK-Arbeiten)
in Sprachen in lateinischer Schrift: Zahl der Bände (als
Teilmenge von fz) |
10 |
75 |
nls |
Print-Medienzugänge in nicht-lateinischer Schrift: Zahl der
Bände |
30 |
40 |
ebook |
E-Medienzugänge: Zahl der Bände |
12 |
65 |
mf |
Medienzugänge: Zahl der Mikrofiche-Bearbeitungen (pro
Einzelfiche) |
4 |
50 |
zs |
laufende Print-Zeitschriften (12 Ausgaben einschließlich
buchbinderische Vorbereitung) |
40 |
30 |
zs-nls |
laufende Print-Zeitschriften in nicht-lateinischer Schrift
(12 Ausgaben einschließlich buchbinderische
Vorbereitung) |
60 |
90 |
ezs |
laufende elektronische Zeitschriften |
5,5 |
75 |
digibib |
Verwaltung des Bestandes und des laufenden Zugangs für die
Digitale Bibliothek |
40 |
80 |
dokuserv |
Laufender Zugang für den Dokumentenserver |
15 |
70 |
zt |
laufende Zeitungen (300 Ausgaben) |
500 |
5 |
lobl |
Zahl der Loseblattsammlungs-Lieferungen |
45 |
– |
r |
Anzahl der Rechnungen |
10 |
25 |
ben |
Benutzerbetreuung im Ausleihsystem |
3 |
10 |
afh |
Ausleihen aus Freihandbestand |
1 |
10 |
amag |
Ausleihen aus Magazinbestand (10 Magazinstockwerke in
der UB) |
5 |
– |
pflege |
Bestandspflegearbeiten am Freihandbestand |
0,2 |
5 |
flg-bereit |
Bereitstellung gebende Fernleihen |
15 |
– |
flg-versand |
Versand von Medien durch die UB |
10 |
25 |
fln |
nehmende Fernleihen |
15 |
50 |
sem |
Bereitstellung von Semesterapparaten (pro Band) |
4 |
– |
b |
Revisionsbestand |
0,2 |
30 |
ab |
Bestandsaussonderungen |
15 |
40 |
ausb |
Ausbildung von Fachangestellten und Referendaren (Zeitaufwand
pro Auszubildenden / Jahr) (ohne Arbeitsleistung des höheren
Dienstes) |
22.000 |
50 |
komp |
Vermittlung von Informationskompetenz an Studierende (pro
Studierendem) |
66 |
91 |
unibib |
Bearbeitung der Universitätsbibliographie |
20 |
70 |
Man erkennt an dieser Aufgabenbeschreibung das Bemühen, komplexe unterschiedliche
Arbeitsvorgänge in einem Bibliothekssystem so abzubilden, dass der Anteil der
sonstigen Arbeiten, die in der Personalbedarfsformel über eine Pauschale erfasst
werden, relativ gering bleibt. Dabei war im Ausleihbereich mangels hinreichender
Erfahrungen die Möglichkeit des Selbstverbuchens und der Selbstrückgabe über
entsprechende Automaten nicht einzuschätzen. Bis auf die Gewissheit, dass durch
das Tätigwerden der Benutzer Arbeitskraft eingespart wird, sagt eine
Selbstverbuchungsquote von über 90 % noch nichts darüber aus, wie
viel Personal für die Beaufsichtigung des Automatenbetriebs eingesetzt werden
muss. Im Einzelhandel ist zu
beobachten, dass jeweils 4 – 5 Selbstbedienungskassen von einem Mitarbeiter
betreut werden.
Aufsicht und Auskunft
Neben diesen Tätigkeiten, die mengenmäßig ermittelt werden können und mit den
genannten Zeitrichtwerten einen ersten Anhaltspunkt für den Personalbedarf
geben, müssen zur Berechnung des gesamten Personalbedarfs noch Festlegungen über
die Gestaltung der Aufsichts- und Auskunftsstellen getroffen werden (Tabelle 2).
Sie sind dem mengenmäßig ermittelten Personalbedarf hinzuzurechnen. Hierbei wird
wegen der unterschiedlichen Aufgabeninhalte noch eine Differenzierung in
fachlich qualifizierten mittleren Dienst (Entgeltgruppe E6 bis E 8) und
„angelernte“ Beschäftigte (Entgeltgruppen E3 bis E5) vorgenommen.
Um für die Öffnungszeitenberechnung eine
allgemeine Vorgabe zu haben, wird von folgenden Kenngrößen
(Öffnungszeiten-Modell) ausgegangen, die die unterschiedliche
personelle Ausstattung berücksichtigen. Dies ist umso wichtiger, als bei dem
Trend zur 24/7-Bibliothek, die durchgehend geöffnet hat, die Abschätzung des
Personalbedarfs darauf Rücksicht nehmen muss, dass auch aus Kostengründen nicht
über die gesamte Öffnungszeit mit hauptamtlichem Personal gearbeitet werden
kann.
Allgemeine Öffnungszeit der Bibliotheken: |
Mo-Fr 9–24 Uhr, Sonnabend 10–20 Uhr, Sonntag 10–20 |
95 Stunden
|
davon mit hauptamtlichem Personal besetzt: |
Mo-Fr 9–20 Uhr, Sonnabend 10–18 Uhr einschließlich
TVöD-Zuschlag Sa 13–18 0,2 Stunden |
(63 Stunden)
64 Stunden
|
davon mit Auskunftspersonal besetzt |
Mo-Fr 9–20 Uhr |
55 Stunden |
Hauptamtliches Personal soll an Sonnabenden nur mit
einer Kraft eingesetzt werden. Die Personalausstattung ist unter
Berücksichtigung der TV-L-Vorgaben für den Ausgleich für Sonderformen der Arbeit
(zu denen der Einsatz hauptamtlichen Personals an Sonnabenden von 13–18 Uhr
zählt und mit einem Zuschlagsfaktor von 0,20 zu berücksichtigen ist) zu
berechnen.
Tabelle 2: Gestaltung der Aufsichts- und Auskunftsstellen für
wissenschaftliche Bibliotheken
Tätigkeit
(Kurzbezeichnung)
|
Inhalt der Tätigkeit |
Zeitfaktor (min) |
Anteil gehobener Dienst (%) |
Anteil mittlerer Dienst (%)
E6 – E8
|
Anteil mittlerer Dienst (%)
E3- E 5
|
Tk |
Öffnungszeit / Jahr in Minuten 1) der
Aufsichtsstelle |
199.680 |
– |
20 |
80 |
Tkr |
Rüstzeiten für die Herstellung der Betriebsbereitschaft der
Aufsichtsstelle und Abschlussarbeiten pro Öffnungstag
2) |
20 |
– |
– |
– |
ÖTk |
Öffnungstage pro Jahr (Aufsichtsstelle besetzt mit
hauptamtlichem Personal)3) |
303 |
|
|
|
Tausk |
Öffnungszeit / Jahr in Minuten 4) der
Auskunftstelle |
171.600 |
80 |
20 |
|
Tauskr |
Rüstzeiten für die Herstellung der Betriebsbereitschaft der
Auskunftstelle und Abschlussarbeiten pro Öffnungstag |
10 |
|
|
|
ÖTausk |
Öffnungstage der Auskunft, besetzt mit hauptamtlichem
Personal5) |
251 |
|
|
|
JAM |
Jahresarbeitsminuten (Tarifliche Arbeitszeit)
6) |
97.110 |
|
|
|
1) Entsprechend dem Öffnungszeiten-Modell wird angenommen, dass die
Bibliothek im Jahr mit einer Regelöffnungszeit von 199.680 Minuten / Jahr
arbeitet, in denen die Aufsicht mit hauptamtlichen Personal besetzt sein muss
(einschließlich des Arbeitskapazitätszuschlags, der tariflich bedingt ist).
2) Da die Bibliothek regelmäßig montags
bis freitags bis 24 Uhr und sonnabends und sonntags bis 20 Uhr geöffnet werden
soll, ist für die „Schließrunden“ der Einsatz vonWachpersonal und Studentischen
Hilfskräften vorzusehen, der aus Sachmitteln zu finanzieren ist und nicht
Gegenstand der Personalausstattungsrechnung ist.
3) Hier wird angenommen, dass die Bibliothek zwar durchgehend geöffnet
hat (365 Tage / Jahr), dass hauptamtliches Personal aber nur von Montag
bis Sonnabend eingesetzt wird. Das entspricht dann unter Einbeziehung der
gesetzlichen Feiertage (365-52-10 =) 303 Tagen.
4) Entsprechend dem Öffnungszeiten-Modell wird angenommen, dass jede
Bibliothek im Jahr mit einer Regelöffnungszeit von 171.600 Minuten / Jahr
arbeitet, in denen die Aufsicht mit hauptamtlichem Personal besetzt sein
muss.
5) Hier wird angenommen, dass die Bibliothek zwar durchgehend geöffnet
hat (365 Tage / Jahr), dass hauptamtliches Personal aber nur von Montag bis
Freitag eingesetzt wird. Das entspricht dann unter Einbeziehung der gesetzlichen
Feiertage (365-104-10 =) 251 Tage.
6) Hier wird von einer jährlichen Arbeitszeit von 207,5 Tagen
(365./.114 (Sonnabende, Sonntage, Feiertage)./. 30 (Urlaubstage)./. 13,5
(Fehltage lt. Betrieblichem Gesundheitsmanagement der FUB)) ausgegangen und eine
tägliche Arbeitszeit von 468 Minuten (8 Stunden 18 Minuten minus 30 Minuten
Pause) angenommen, was zu einer Jahresarbeitszeit von 97.110 Minuten führt. Hierbei
wird von einer Arbeitszeit der Tarifbeschäftigten von 38,5 Wochenstunden und
einer Arbeitszeit der Beamten von 40 Wochenstunden ausgegangen und als
Berechnungsmittelwert ein Stundenfaktor von 39 Stunden angenommen.
Pauschalfaktoren
In den mengenmäßig erfassbaren Tätigkeiten gibt es, wie oben ausgeführt, einen
unvermeidbaren Leerlauf. Wir haben dies in unserer Personalbedarfsrechnung den
Diskontinuitäten-Faktor genannt.
Der Diskontinuitäten-Faktor berücksichtigt, dass es für bestimmte, eigentlich
kontinuierlich erledigbare Arbeitsaufgaben Leerlauf-Zeiten gibt, in denen
Personal jedoch vorhanden ist oder bereitgestellt werden muss. Solche
Tätigkeiten sind in unserer Festlegung: Freihand- und Magazin-Ausleihe und
gebende und nehmende Fernleihe, also Tätigkeiten, die unmittelbar vom zeitlich
nicht steuerbaren Benutzungsaufkommen abhängen. In unserer Personalbedarfsformel
haben wir den Faktor mit 0,05 angesetzt, so dass die vier genannten Tätigkeiten
innerhalb der Formel gesondert mit 1,05 multipliziert werden.
Die von Klar (1974) genannten weiteren bibliothekarischen Arbeiten, Nebenarbeiten
und nicht unmittelbar produktive Arbeiten (in seiner Formel das Formelglied a)
haben wir mit einem Nebenarbeiten-Faktor
berücksichtigt. Basis waren aus dem für die Zuordnung der einzelnen Tätigkeiten
im Rahmen der in der Freien Universität Berlin eingeführten
Kosten-Leistungsrechnung entwickelten Leistungen-Katalog entnommene Tätigkeiten
als zum Pauschalfaktor zu zählende Tätigkeiten, die nicht einer mengenmäßig
bestimmbaren oder zeitgebundenen Tätigkeit zuzuordnen sind:
Herstellung von Reproduktionen, Digitalisierung
Einband, Restaurierung, Konservierung
Sacherschließungskooperation und -koordination
Bibliothekarische Dienstleistungen im Rahmen von Berufungsverfahren und
für Forschungsprojekte aus Exzellenzwettbewerben
Teilnahme an Fort- und Weiterbildungen (inkl. IT)
Andere interne Gremien
Externe Gremienarbeit
Führung / Leitung
Organisation und Services
Dienstbesprechungen
Kosten- und Leistungsrechnung
Dezentrale IT-Strategie
Dezentrale Haushaltsplanung und -rechnung
Dezentrale Aufgaben der Hochschul- und Wissenschaftskommunikation.
Unter allem Vorbehalt der richtigen Zuordnung einzelner dienstlicher Tätigkeiten
erscheint ein Pauschalfaktor von 0,22 angemessen. Wir multiplizieren den
Gesamtwert der mengenmäßig erfassbaren Tätigkeiten daher mit dem Wert 1,22.
Die Kosten-Leistungsrechnung, mit der die von den
Mitarbeitenden geleisteten Tätigkeiten verbucht werden, kann auch als
Ex-post-Kontrolle herangezogen werden, ob die geschätzten Zeit-pro-Stück-Ansätze
mit dem tatsächlichen Zeitverbrauch übereinstimmen und einen Optimierungsbedarf
offenlegen.
Personalbedarfsformeln
Die für unsere Personalbedarfsrechnungen zugrunde zu legende
Personalbedarfsformel lautet demnach:

Die speziellen Personalbedarfsformeln für die Beschäftigtengruppen Höherer Dienst
(nur fachbezogene, keine laufenden Aufgaben), Diplomdienst, Sonstige
Beschäftigte der Entgeltgruppe E6 bis E 8 und E3 bis E5 lauten:




Für die konkreten Personalbedarfsrechnungen wurden
EXCEL-Tabellen angelegt, in denen ohne
große Probleme die Parameter gegebenenfalls verändert werden konnten, um die
Auswirkungen von Parameteränderungen auf den sich dann ergebenden Personalbedarf
zu testen und den Personalausstattungs-Vorgaben anzupassen. Die folgende Tabelle
3 zeigt den allgemeinen Rechenweg mit der Einschätzung des jeweiligen
Personalanteils der verschiedenen Dienststufen. Hierbei werden auch beispielhaft
zwei Spalten für zwei im Bibliothekssystem vorhandene Bibliotheken eingefügt, um
zu zeigen, dass der Rechenweg ohne Probleme auf eine größere Anzahl von Fach-
oder Zweigbibliotheken ausgeweitet werden kann, wobei durch die Ermittlung der
Bezugsgrößen der einzelnen Bibliothek auch Analysen des Personalbedarfs einer
einzelnen Teilbibliothek möglich sind.
In diesen Tabellen wurden auch weitere Personalbedarfe berücksichtigt, die in
einem großen Bibliothekssystem wie dem der Freien Universität Berlin als
zentrale Aufgaben skizziert werden mussten, ohne dass hierbei immer ein
mengenmäßiger Bezug angegeben werden konnte. Die Berücksichtigung solcher
Aufgaben ist aber nicht nur typisch für dezentralisierte zweischichtige Systeme,
sondern diese Aufgaben fallen auch bei einschichtigen Systemen an, so dass eine
generelle Berücksichtigung bei der Darstellung der Personalbedarfsberechnung für
wissenschaftliche Bibliotheken gerechtfertigt ist.

Tabelle 3: Personalbedarfsberechnung für wissenschaftliche
Bibliotheken