Konrad Umlauf: Strategisches Management: Stakeholder-Analyse (In: Erfolgreiches Management von Bibliotheken und Informationseinrichtungen, hrsg. von Prof. Dr. Konrad Umlauf • Prof. Cornelia Vonhof, Hamburg: Dashöfer 2013, Abschn. 3.3.9)
Die Fragen richten sich auf die Interessengruppen (Anspruchsberechtigten, Stakeholder), die einen Einfluss auf die Bibliothek und ihren Erfolg nehmen können. Das Vorgehen ähnelt dem Vorgehen bei der Umweltanalyse (siehe Abschnitt 3.3.7): Man führt innerbetriebliche Workshops durch, ev. unter Hinzuziehung einer externen Beratung sowie von Vertretern der Interessengruppen selbst (z.B. Benutzerbeirat, Medien- bzw. Bibliothekskommission der Hochschule, Kulturdezernent und Vertreter aus dem Kulturausschuss), auf denen die Interessengruppen aufgelistet werden. Jede Interessengruppe wird anhand von Fragen wie den folgenden beschrieben:
Welche Erwartungen hat diese Interessengruppe? Welche Interessen vertritt sie in Bezug auf die Bibliothek?
Wie stark ist ihr Einfluss, ggf. über indirekte Kanäle?
Welchen Nutzen kann die Bibliothek dieser Interessengruppe bieten?
Im Einzelnen werden folgende Schritte abgearbeitet:
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Schritt 1: Identifizieren der internen und externen Stakeholder:
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Welche Interessengruppen nehmen formell und informell Einfluss?
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Welche Interessengruppen, von denen die Bibliothek dauernd abhängt, sind an der Entwicklung der Bibliothek interessiert (besonders Benutzer, Lieferanten)?
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Gibt es Interessengruppen, von denen wirksame Aktionen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Bibliothek ausgehen können (besonders Gewerkschaften, Verbände)?
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Zu welchen Interessengruppen hat die Bibliothek besonders enge Verbindungen (z.B. Personalvertretung)?
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Gibt es Gruppierungen, die nach demografischen Kriterien Einfluss nehmen können (Aufsichtsämter bzgl. Jugendschutz und Gender Mainstreaming)?
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Schritt 2: VisualisierenVisualisieren des Beziehungsgeflechts:
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Ein Schaubild bildet die Stakeholder in Kreisen ab: Je größer, desto mehr Einfluss.
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Die Art der Beziehung (freundlich, feindlich, förderlich, hinderlich…) wird durch die Art der Pfeile und die Anordnung der Kreise ausgedrückt.
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Schritt 3: Interpretieren und Analysieren:
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Man sammelt Aussagen über jeden Stakeholder, die seine Erwartungen, die Stärke seines Einflusses und die Nutzen, die Bibliothek und Stakeholder aneinander haben.
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Schritt 4: Ableiten von Chancen und Risiken:
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Priorisierung der Stakeholder nach Bedeutung bzw. Einflussstärke
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Die Erwartungen und Nutzen werden als Risiken oder Chancen interpretiert.
Die folgende tabellarische Übersicht soll Hinweise auf typische Stakeholder und ihre relevanten Merkmale sowie beispielhaft auch auf besonders beachtliche Merkmalsausprägungen geben.
Unterhaltsträger (Personen, Gremien) |
Maßgeblicher Entscheider insbesondere über Mittelzuweisung
Ggf. Fehleinschätzungen des Produktkatalogs hinsichtlich Umfang, Komplexität und Bedarf
Image der Bibliothek beim Unterhaltsträger
Rolle der Bibliothek in seiner Strategie
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Mitarbeiter |
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Führungskräfte |
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Personalvertretung |
Ggf. ideologische Opposition gegenüber der Bibliotheksleitung
Ggf. einseitige Orientierung an der Interessenlage männlicher vollbeschäftigter Arbeitnehmer mit beruflicher Ausbildung, einem Arbeitnehmertyp, der in Bibliotheken eine marginale Rolle spielt
Ggf. einseitige Orientierung an der Interessenlage einzelner Mitarbeiter in speziellen Situationen ohne Beachtung des Gesamtgefüges der Mitarbeiterschaft
Ggf. Bestreben, Mitbestimmungsrechte in Bereichen geltend zu machen, die der Mitwirkung unterliegen
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Benutzer |
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Förderverein |
Ggf. Selbstdarstellung des Vorsitzenden
Ggf. Eigendynamik gegenüber der Bibliotheksleitung
Einwerben von Sponsorengeldern
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Lieferanten |
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Das Schaubild zeigt ein fiktives Beispiel.


Schaubild: Fiktives Beispiel einer Stakeholder-Analyse (© K. Umlauf)
Diese fiktive Konstellation lässt sich knapp folgendermaßen verbalisieren:
Erwartungsgemäß hat der Unterhaltsträger den entscheidenden Einfluss auf die Bibliothek. Zwischen den Führungskräften und den Vertretern des Unterhaltsträgers besteht eine regelmäßige Kommunikation. Allerdings wendet der Unterhaltsträger der Bibliothek keine überdurchschnittliche Wertschätzung zu. Den Bibliothekszielen sehr förderlich ist die lebhafte Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern. Die Benutzer sind freilich gegenüber der Bibliothek eine anonyme Masse, die sich weder über den Förderverein noch mittels anderer Kanäle gegenüber der Bibliothek artikuliert. Der Förderverein genießt hohes Ansehen beim Unterhaltsträger; man tauscht sich regelmäßig aus – allerdings bestehen kaum Beziehungen zwischen Bibliothek und Förderverein. Die Damen und Herren des Fördervereins agieren ganz und gar in ihrem eigenen Sinn, auch wenn dieser im Ganzen den Bibliothekszielen entspricht. Unter den Mitarbeitern gibt es eine kleine Minderheit, die an den Personalratswahlen teilnimmt und einen Personalrat ins Amt brachte, der eine den Bibliothekszielen klar zuwider laufende Politik betreibt. Er kann sich dabei allerdings auf die Haltungen dieser Minderheit berufen.
Die Ergebnisse dieser Stakeholder-Analyse legen folgende Maßnahmen nahe:
Der Förderverein soll nicht nur selbst gegenüber dem Unterhaltsträger agieren, sondern er soll auf Basis beispielsweise einer Benutzerbefragung Voten der Benutzer einholen, die sich lobbyistisch einsetzen lassen.
Generell soll die Bibliothek mehr Werbung gegenüber den Benutzern machen und dabei durch soziale Medien dialogische Strukturen einsetzen. Ob man einen Benutzerbeirat ins Leben ruft, soll mit dem Förderverein erörtert werden. Unabhängig davon sollen Benutzer angesprochen werden und in Planungen und Dienstleistungsentwicklung einbezogen werden.
Die Ziele der Bibliothek müssen dem Unterhaltsträger stärker vermittelt werden. Hier sollen die Führungskräfte neue Formen der Argumentation finden und sich stärker mit dem Förderverein koordinieren.
Führungskräfte und Personalvertretung sollen sich in einem extern moderierten Workshop aussprechen und gemeinsame Interessen und ggf. auch Differenzen schriftlich festhalten. An den Differenzen soll mit externer Moderation gearbeitet werden.